Das Leben eines Menschen erschließt sich nicht über das, was er gemacht hat. Viel interessanter wäre, zu erfahren,
wie er es gemacht hat. Aber das würde in den meisten Fällen den Rahmen sprengen. Noch dazu duften die üblichen
Biografien so »herrlich« nach Erfolg. Nach Tollsein.
Für mich geht es im Alltag in erster Linie um das, was im Moment (körperlich, geistig und emotional) in mir los ist.
Das mitzukriegen. Mit soviel Ruhe, wie in der betreffenden Situation möglich ist. Nur dann kann ich mich a) lebendig
fühlen und b) etwas über meine Umwelt sagen beziehungsweise effektiv mit ihr in Verbindung treten. Das ist ein Anspruch,
mit dem ich natürlich meistens scheitere. Aber ich will es versuchen. Manchmal gelingt es; in der Kunst, im Zusammenleben
mit anderen – und das ist dann sehr schön. Es fühlt sich stimmig an. Nicht forciert. Nicht ausgedacht.
Unsere westliche Welt ist so fordernd. Es ist so schwierig, sich nicht in die »zehntausend Dinge« zu zersplittern,
wie es in der chinesischen Philosophie heißt. In Gewohnheiten, scheinbaren Notwendigkeiten, festgefügten Sichtweisen etc.
Die frische Sicht! Das wäre wünschenswert. Aber es gibt keinen bestimmten Weg, der dorthin führt. Ich höre
immer wieder von Leuten, die ihn trotzdem gefunden haben. Das würde ich anzweifeln. Es gibt viele gute Wege,
und sie sind im Leben vielleicht abwechselnd dran. Sich einfach nur in einer Höhle zu verkriechen und zu meditieren,
klang für mich lange Jahre erstrebenswert, hätte aber allein wahrscheinlich nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht.
Es sei denn, ich hätte es gemacht wie Milarepa und so lange meditiert, bis mir der Hintern in Fetzen gehangen wäre.
Mit anderen Worten: So etwas ist in unserer Welt leider meistens unrealistisch. Deshalb: Psychotherapie, Körperarbeit,
Yoga, Meditation – das sind alles tolle Ansätze. Und genauso gut gibt es in jeder Richtung viel Blödsinn.
Viele Schaumschläger und Irrwege. Hin und wieder ist es auch einfach gut, Fußball zu gucken, ungesundes Zeugs
zu knabbern oder sich in der Badewanne einweichen zu lassen ... Das gehört alles dazu. Früher oder später.
Schwierig ist nur, dass man nicht genau weiß, was wann dran ist.
Immerhin des Öfteren hilfreich: Unter Leute gehen, in die Natur gehen, inspirierende Bücher oder Musik.
Ich liebe zum Beispiel alte chinesische und japanische Lyrik. Wenn mal nichts mehr geht, greife ich zu Ryokan
oder Han-Shan (möglichst in englischer Übersetzung; die deutschen Übersetzungen sind, glaube ich,
alle ziemlich schrecklich). Oder ich höre die neuen Platten von Jonathan Richman. Sein »Inner House« klingt genauso
wie das »Innere Kind«, das ich für »Aber ich kann fliegen« aufgesucht habe. Wichtig ist, sich nicht allein auf
der Welt zu fühlen. Denn das ist eine Fehlwahrnehmung.